Corvin Tolle spricht im Interview mit der Berliner Zeitung über den Berliner Immobilienmarkt. Wie haben sich die Preise entwickelt und was muss man als Immobilienkäufer beachten?
Kennen Sie das Gefühl? Die neuen Nachbarn laden Sie zur Einweihungsparty ein und Sie stellen fest, dass jene ihre Wohnung im Gegensatz zu Ihnen nicht gemietet, sondern gekauft haben. Mitten in der Inflation, trotz Horrorzinsen und anderer Hürden, die das Leben in Berlin Jahr für Jahr teurer und nicht unbedingt glücklicher machen.
Da kann man schnell neidisch werden, aber Neid allein hilft nicht weiter. Besonders schmerzhaft ist auch der Trend: In den letzten 12 bis 15 Jahren haben sich die Kaufpreise für Berliner Wohnungen verdreifacht, wenn nicht sogar vervierfacht. Trotzdem steigt die Nachfrage nach einem leichten Rückgang im letzten Jahr wieder: Denn wenn der Traum vom Eigenheim platzt, kann man immer noch versuchen, eine Eigentumswohnung zu bekommen. Auch die Mieten werden höher.
Wer sein Leben mit Berlin verbinden will, für den lohnt sich der Kauf einer eigenen Wohnung. Das sagt Immobilienexperte Corvin Tolle (52) im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Tolle ist Inhaber einer Maklerfirma. Das Unternehmen vermittelt Wohnungen für Eigennutzer, Mietwohnungen für Kapitalanleger sowie Wohn- und Geschäftshäuser als Anlageobjekte.
Tolle sagt, dass die Berliner, die vor 20 oder sogar noch vor zehn Jahren das Wachstumspotenzial Berlins nicht erkannt und deshalb nichts gekauft hätten, heute ihre Kurzsichtigkeit bereuen würden. Die Nicht-Berliner und die Menschen aus den Ländern, in denen der Wohnraum noch teurer ist, hätten sich dagegen als nicht ganz so kurzsichtig erwiesen. „Von außen wird die Stadt als günstig wahrgenommen, auch bei den heutigen Quadratmeterpreisen. Günstiger als Paris, London, München und zum Teil sogar als die Universitätsstädte Heidelberg, Münster oder Tübingen“, weiß Tolle aus eigener Erfahrung.
Während es zum Beispiel in der Pariser Innenstadt keine Wohnung für unter 18.000 Euro pro Quadratmeter gebe, könne man in Berlin eine Neubauwohnung in guter Lage, zum Beispiel in Schöneberg, schon für 8000 bis 10.000 Euro pro Quadratmeter kaufen. Selbst in Charlottenburg, unweit des Kudamms, könne man eine Gebrauchtwohnung für 6800 Euro pro Quadratmeter finden. Das ist es, was die Stadt so attraktiv für den Zuzug macht.
Wie sieht der Durchschnittskäufer heute, in Inflationszeiten, aus? „Es ist immer wieder erstaunlich, dass so viele Menschen über sehr viel Eigenkapital verfügen“, sagt Tolle. „Während die einen es sich nicht mehr leisten können zu kaufen, gibt es immer noch die, die kommen, sehen und kaufen.“ Eine Erbschaft sei in diesem Zusammenhang sehr hilfreich, ebenso wie jede Art von passivem Einkommen.
Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert? „Die Leute, die vor ein paar Jahren noch eine Wohnung für eine Million Euro haben wollten, gehen heute zur Bank und können sich nur noch eine Wohnung für eine halbe Million Euro leisten und bekommen dieses Geld entsprechend geliehen“, so die Antwort des Immobilienexperten. Das sei dann auch der Grund für die Veränderung der Suche. Das Bedürfnis, etwas Eigenes zu haben, verschwinde aber nicht. Um das zu erreichen, reiche es heute nicht mehr aus, nur ein gutes Gehalt zu haben, stellt der Immobilienexperte fest. Man müsse schon ein ordentliches Maß an Eigenkapital mitbringen.
Tolle ergänzt: „Ich würde jedem, der sich jetzt auf die Suche nach einer Wohnung macht, raten, sich nicht erst seine Traumimmobilie auszusuchen und dann zur Bank zu gehen. Das kann schnell dazu führen, dass man enttäuscht wird. Stattdessen sollte man alle Karten auf den Tisch legen und die Bank erst einmal fragen: Für wie viele tausend Euro bin ich gut, um eine Wohnung finanziert zu bekommen? Und dann wird die Bank – und die Banken ändern ihre Anforderungen sehr stark und setzen die Lebenshaltungskosten höher an – ein Angebot machen. Wenn Sie bei den heutigen Zinssätzen nur eine Zusage für einen Kaufpreis von 500.000 Euro bekommen, dann müssen Sie sich etwas aussuchen, das 460.000 Euro kostet. Sie werden nicht mehr nach Wohnungen suchen, die fast das Doppelte kosten.“
Als konkretes Beispiel kann man auch die Nachbarn nehmen, von denen eingangs die Rede war. Nehmen wir an: Eine Altbauwohnung in Kreuzberg, 60 Quadratmeter, wurde 2022 für 500.000 Euro gekauft. Was muss man mitbringen, um diesen Preis bezahlen zu können? Die Antwort des Maklers auf diese Frage:
„Erfahrungsgemäß wird heute von den Banken ein Eigenkapitalanteil von 30 Prozent des Kaufpreises verlangt. Nicht eingerechnet sind die vielen Nebenkosten: sechs Prozent Grunderwerbssteuer, Notargebühren zwischen 1,5 und zwei Prozent und im Schnitt 3,5 Prozent Maklergebühr, wenn ein Makler beteiligt ist. Dann leiht die Bank vielleicht 70 Prozent des Kaufpreises für zehn Jahre: 20 Jahre Kreditlaufzeit sind in Deutschland selten.“
Tolle macht eine andere Rechnung auf: 70 Prozent von 500.000 Euro Kaufpreis ergeben 350.000 Euro Kredit. Bei vier Prozent Zinsen plus mindestens zwei Prozent Tilgung muss man mindestens 21.000 Euro im Jahr zurückzahlen. Das sind 1750 Euro im Monat nur an Kreditkosten. Dazu werden von der Bank mindestens 1500 Euro Lebenshaltungskosten pro Monat für das Paar veranschlagt. Aber es gibt noch viele andere Kosten, die das Paar zu tragen hat. „Wahrscheinlich benötigt jeder Partner am Ende mindestens 3500 Euro netto, um sich diese Wohnung bei einer Mindesttilgung von zwei Prozent in rund 32 Jahren leisten zu können“, so die Schlussfolgerung des Experten.
Aber es geht auch anders. Woher weiß man, dass es sich mehr lohnt zu kaufen, als zu mieten? Corvin Tolle rechnet vor: „1750 Euro Kreditkosten im Monat ergeben fast 30 Euro Miete pro Quadratmeter. Das klingt viel, ist aber wertgesichert, weil mir die Immobilie später einmal gehören wird. Auf dem freien Wohnungsmarkt würde die Wohnung für 10 bis 15 Euro pro Quadratmeter vermietet. Im Gegensatz zu einem Kredit muss man die Miete ein Leben lang bezahlen.“ Und die Mieten werden ja auch immer höher. Allein von 2009 bis 2019 stiegen die Mieten in Berlin um durchschnittlich 104 Prozent.
Das gilt unverändert: Am teuersten ist es in Mitte und Kreuzberg, die anderen Bezirke im Speckgürtel folgen. Wo kann man noch eine günstige Wohnung finden? „Das Spannende an Berlin ist, dass die Stadt, obwohl sie die deutsche Hauptstadt ist, nicht so zentralistisch ist wie Paris, London oder Moskau. Es ist eine dezentrale Stadt, in der jeder seine Ecke findet“, sagt Tolle. Nur 30 Prozent der Berliner leben innerhalb des Innenstadtrings, 70 Prozent außerhalb. „Lichtenberg, Hohenschönhausen und Biesdorf werden derzeit immer beliebter. Auch Karlshorst zieht mehr Interessenten an. Spandau ist immer noch günstig, aber wegen der schlechten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr weniger beliebt. Auch im Neuköllner Süden in Richtung Flughafen Schönefeld gibt es noch viele finanzierbare Einfamilienhäuser.“ Köpenick ist dagegen schon deutlich teurer geworden. Ausgerechnet in Köpenick hat ein ehemaliger Mandant Tolles eine 200-Quadratmeter-Wohnung für den Preis gekauft, den er in Charlottenburg für eine halb so große Wohnung hätte zahlen müssen.
Fazit: Wer den Traum von den eigenen vier Wänden in Berlin trotz aller Krisen noch nicht aufgegeben hat und etwas Finanzierbares finden will, muss flexibel genug sein, sich umzuorientieren und seine Ansprüche zu reduzieren. Bei einer Prolongation des Kredits nach zehn Jahren, so Tolle, sei zwar das Risiko eines Zusammenbruchs des Immobilienmarktes und eines Wertverlustes der Wohnung nicht auszuschließen. Doch das hält der Immobilienexperte für unwahrscheinlich. Seine Prognose: Die Zuwanderung wird weiter steigen, und Berlin wird noch für eine lange Zeit ein sehr attraktiver Wohnort bleiben. Dementsprechend werden auch die Preise weiter steigen, solange nicht massiv gebaut wird und genügend Wohnraum für alle zur Verfügung steht.