Corvin Tolle erzählt im Artikel "Die Findeformel der Zukunft" in der neuesten Ausgabe der Immobilienwirtschaft (02/2022) über die große Chance, wie sich ein Immobilienunternehmen mit jungen Talenten verjüngen und digital transformierten kann.
Seit 1995 bin ich in der Immobilienbranche. Wir sitzen seit 30 Jahren am Kurfürstendamm in Berlin und sind ein Maklerunternehmen und eine Hausverwaltung. Das Schöne an einer langen Zeit in der Immobilienbranche ist, dass wir auf vieles zurückschauen können, und was sagt man dann? "Das haben wir schon immer so gemacht". Doch das gilt heute nicht mehr.
Zwar ist, und das hat die letzte Expo Real wieder bewiesen, die Immobilienbranche immer noch dominiert von einer Welt, die unter anderem aus folgenden Gegenständen besteht: Mercedes E-Klasse in Schwarz, Audi A6 in Schwarz, diverse SUV in verschiedenen Farben und sicherlich ab 50 plus Porsche und Co. mit weinroten Sitzen. Dazu die obligatorischen blauen Hugo-Boss-, Armani- oder Zegna-Anzüge. Der Ausbruch alles Revolutionären findet dann am Handgelenk statt, eine Rolex mit bunter Lünette oder das wahre Erkennungszeichen der Immobilienbranche: die Audemars Piguet Roayal Oak, die Uhr, die 1972 mit den Konventionen brach, weil sie mit ihrem Stahlgehäuse, der achteckigen Lünette und dem Tapisserie-Ziffernblatt eine wahre Legende unserer Zeit wurde.
Aber diese Zeit der luxuriösen Uniformität scheint nun vorbei. Spätestens wenn Sie sich auf Personalsuche begeben, wissen Sie, was Ihnen die Zukunft blühen wird: Ein Personalgespräch mit einem 24-jährigen Individuum zu führen, wird Sie in eine andere Welt jenseits von blauen Anzügen und Rolex-Uhren katapultieren. Neue Markenzeichen sind Tattoos, Turnschuhe oder Hoodies. Bereiten Sie sich darauf vor, dass die Fragen, die Sie stellen müssen, nicht mehr die gleichen sind, die Sie damals gestellt bekommen haben. Nein, vielmehr werden Sie heute fragt: welche Getränkemarken es in der Gemeinschaftsküche gibt, wie das Party-Angebot des Unternehmens aussieht, wo man Fitness während der Arbeit machen kann, ob der Hund mitkommen darf und ob es in Ordnung ist, wenn man zwischen 12 und 22 Uhr arbeitet. Danach kommt die Frage, was dagegenspricht, drei Monate von Bali aus im Homeoffice die Sachbearbeitung oder Buchhaltung oder sonstige Tätigkeiten zu erledigen.
Was Sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, ist, dass Sie der Gewinner sind. Ihnen sitzt der Jackpot gegenüber – die Zukunft, die Macht, die mit Ihnen sein wird. Sie haben noch Zweifel? Vergessen Sie das Zeugnis, die Unterlagen – eh alles mit Adobe gefälscht.
Wie, das glauben Sie nicht? Na ja, was die Politik mit Doktorarbeiten kann, können auch Bewerberinnen und Bewerber heutzutage. Verlassen Sie sich auf Ihr Bauchgefühl und stellen Sie sie ein. Es wird Sie und Ihr Unternehmen verändern – sofern Sie das wollen. Das geht damit los, dass Sie am ersten oder zweiten Arbeitstag zum Du übergehen. Ihre Reise beginnt, die Transformation in die Zukunft. Aber wie kommt es überhaupt zu diesem Gespräch? Die Mitarbeitergewinnung hat sich stark gewandelt. Eine Stellenanzeige ist wahrscheinlich gar nicht mehr das Papier wert, auf das sie gedruckt wird. Stopp! Sie wollen nicht wirklich eine Stellenanzeige in einem Printmedium – und sei es in diesem hier – aufgeben?
Wir stehen im Wettkampf um die jungen Talente, sie lassen sich nicht mit einer Anzeige gewinnen. Heute müssen Sie ein digitales Netz auswerfen, um etwas einfangen zu können. Werfen Sie einen Blick auf Ihre eigene Website. Dann suchen Sie sich am besten eine Person unter 20 und fragen sie, ob sie sich angesprochen fühlt. Wahrscheinlich bekommen Sie einen unverständlichen Blick und hören englische Wörter, die Ihnen nicht geläufig sind. Aber angenommen, Sie bekommen ein Daumen hoch. Heißt, die Internetseite ist ansprechend und die Verweildauer auf dieser Seite wird nicht ewig sein, aber zukünftige Bewerber fühlen sich schon mal angesprochen und finden die Rubrik "Hiring/Jobs/Career" – oder kennt noch jemand das Wort "Stellenangebote"?
Vielleicht sieht Ihre Stellenanzeige auf Ihrer Seite oder bei den bekannten Portalen auch schon aus wie bei der Deutschen Bahn. Diese duzen ihre Kandidaten und geben ihnen das Gefühl, etwas bewegen zu können. Wenn Sie das in Zukunft machen, geben Sie den Talenten das Gefühl, dass Sie keine Immobilienbude sind, sondern ein cooler Internetladen, der etwas mit Immobilien zu tun hat. Dann bekommen Sie eine E-Mail und da steht sinngemäß drin: "Hi, ich habe Interesse bemüht euch um mich." Noch einfacher wird die Suche aber, wenn Sie einen Instagram- oder TikTok-Account bespielen und diese auch von Ihrem Team geteilt und weiterverbreitet werden. Dann sind Sie im Game-Changer-Modus. Und wenn Sie Glück haben, wollen Ihre Follower plötzlich bei Ihnen arbeiten!
Woher ich das weiß? Die letzte Bewerberin, die extra nach Berlin zieht, um bei uns zu arbeiten, bezog sich explizit auf unseren Instagram-Account und das Profil einer Kollegin, der sie folgte. Im Bewerbungsgespräch hörte ich dann, dass die Bewerberin gerne von besagter Kollegin lernen will. Ich schluckte, weil ich ihr dann erklären musste, dass genau diese Stelle der Hochgelobten gerade vakant geworden ist und die Bewerberin die Nachfolge antreten würde. Ruhe im Raum. Glücklicherweise hat sie unterschrieben und wird jetzt diese Lücke ausfüllen. Die Moral der Geschichte: Unterschätzen Sie nicht, welches Potenzial Social Media heute für die Jobsuche haben können. Das führt dann aber unweigerlich dazu, dass Sie jetzt auch eine Handvoll an Teammitgliedern brauchen, die sich um Ihre Social-Media-Kanäle kümmern. Bei der Suche nach Online-Kandidaten hilft Ihnen ebenfalls wieder Ihr digitales Netz. Uns erreichte hierfür eine Bewerbung aus Bolivien. Sie beinhaltete diverse Wünsche und Argumente, warum ein Arbeitsplatz in Berlin so toll ist. Was dann folgte war eine Aufzählen von Raketenwissenschaften: "Visio, Power BI, VBA, Copywriting, Designing, Canva, Unfold, Lightroom, Animoto, InShot, VN, Certification Coursera, Facebook und Social Media Marketing Professional." Da mir die Begriffe "Facebook" und "Social Media" geläufig sind, konnte es nicht schaden, sich auf ein virtuelles Bewerbungsgespräch einzulassen und folgende Frage zu stellen: "Du bist unser neuer Social-Media-Manager. Wie sieht dein Plan aus, unser Unternehmen bekannt zu machen?" Hören Sie bei Antworten auf solche Fragen genau zu – was da kommt, verändert bestenfalls Ihr Unternehmen.
Wenn Sie sich jetzt trauen, solche jungen Talente mit ihrem frischen Blick einzustellen, verlassen Sie das Althergebrachte. Tauschen Sie Ihre Porsche gegen ein Elektroauto oder Lastenfahrrad ein. Dafür dürfen Sie die Rolex behalten. Denn Die Zeit tickt ab sofort für Sie und Ihr Unternehmen anders. Denn Sie haben die Formel der Zukunft entdeckt: Einstellen, machen lassen und gewinnen.